Wow, man kommt kaum noch hinterher. Trump erkennt Begnadigungen nicht an, Bidens Kinder erhalten keinen Personenschutz mehr, Trump greift die freie Presse an, die Akten zur Ermordung von JFK sollen freigegeben werden usw.
Das hat System. Inmitten all des Lärms, der Empörung, aber auch der Mobilisierung der eigenen Anhänger, gehen die zentralen und wirklich gefährlichen Entwicklungen unter, sie werden einfach Teil der ewigen Lärmkulisse, nicht mehr zu unterscheiden vom Rest der Kakophonie. Irgendwann blendet man weg.
Die Ausrufung des Alien Enemies Acts (AEA) und die sich daran unmittelbar anschließende Auseinandersetzung zwischen Trump und der Justiz ist m.E. eine solche zentrale Entwicklung. Inzwischen ist klar, dass die Administration der mündlichen Anordnung des Richters, die Flugzeuge zurückzuholen, bewusst nicht gefolgt ist. Die New York Times hat ermittelt, dass von drei Flugzeugen zwei noch in der Luft waren, während das dritte noch nicht einmal gestartet war. Begründung der Trump-Regierung: man müsse mündlichen Anordnungen der Justiz nicht folgen. Im Gegenteil, man werde - so der wichtige Trump-Berater Stephen Miller - genauso weitermachen.
Bundesrichter James Boasberg lässt sich das allerdings nicht bieten und hat der Regierung bis Dienstag Zeit gegeben, Details zu den Flügen vorzulegen. Auch dies haben die Vertreter der Regierung bisher glatt verweigert, weil es um Fragen der nationalen Sicherheit gehe. Stattdessen hat das Justizministerium beim Berufungsgericht verlangt, Richter Boasberg den Fall zu entziehen. Ein republikanischer Abgeordneter hat angekündigt, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Boasberg einzuleiten.
Das Letztere ist Theaterdonner, der Rest ist bitterer Ernst. Trump und das Justizministerium üben nicht nur maximalen Druck auf die unabhängige Justiz aus, sie haben bereits die Schwelle der Missachtung der Justiz in diesem Fall mindestens einmal überschritten. Mir scheint, sie stehen ganz knapp davor, einfach zu erklären, sie müssten richterlichen Anordnungen nicht Folge leisten, weil ihr Vorgehen im Rahmen der verfassungsmäßigen Kompetenz des Präsidenten liege. Die Anhörung morgen wird uns zeigen, wohin die Reise geht.
Ein System kippt nicht durch ein einzelnes dramatisches Ereignis, sondern durch viele kleinere Schritte. Noch hält die verfassungsmäßige Ordnung in den USA - so gerade. Es ist die Justiz, die die Barriere ist, nicht der Kongress und nicht das Volk, die sich beide durch bemerkenswerte Lethargie auszeichnen. Wir dürfen auf die weitere Entwicklung gespannt sein.