Beginnen wir mit einer einfachen Tatsache. In 332 Tagen wird Donald Trump 80 Jahre alt. Seine Zeit als dominierende Persönlichkeit der US-Politik bzw. als Schöpfer und Führer der MAGA-Bewegung neigt sich ihrem Ende zu.
Das ist der Hintergrund, vor dem man die Eruption an Wut und Enttäuschung im MAGA-Camp zu den sog. “Epstein-Files” sehen sollte. Ganz kurz die Fakten: Das Justizministerium hat am Montag vergangener Woche, also vor zehn Tagen, ein Memo veröffentlicht, in dem es heißt, Jeffrey Epstein, guter Kumpel von zahlreichen Politikern, Wirtschaftsbossen und Prominenten, aber wegen Sexualstraftaten verurteilt und außerdem angeklagt, einen Ring zur sexuellen Ausbeutung Minderjähriger unterhalten zu haben, habe a) keine Klientenliste geführt und b) Selbstmord verübt. Das Problem: Trump, Vance, MAGA-Politiker und sämtliche MAGA-Influencer haben jahrelang das genaue Gegenteil behauptet. Der Deep State und die Demokraten würden die Liste aus offensichtlichen Gründen zurückhalten. Sobald man an der Regierung sei, würde man alles offenlegen. Noch besser, Pam Bondi, die Justizministerin, hat im Februar ausdrücklich gesagt, dass sich genau diese Liste gerade zur Prüfung und Freigabe auf ihrem Schreibtisch befände. Und dass Dan Bongino, einer der besagten Influencer, aber jetzt Vizechef des FBI, offenbar einen dicken Krach mit Bondi über der Frage der Veröffentlichung des Materials hat, trägt ebenfalls nicht zur Vertrauensbildung an der Basis bei.
Seitdem tobt ein Orkan durch die MAGA-Anhängerschaft.
Die Hodgetwins (3,3 Millionen Follower auf X):
I voted for elite pedophiles to be brought to justice I didn’t vote for them to be protected by the government.
The current DoJ under Pam Bondi is covering up crimes, very serious crimes by their own description.
The Swamp has devoured Donald Trump so completely that the man has been reduced to a skulking shadow of the fighting warrior he once promised to be. The Epstein denial is the final nail in the coffin. Whatever we thought Trump might be, he clearly is not.
Usw. usw., so geht es jetzt seit letzter Woche.
Aber was bedeutet das alles?
Erstens, es hat sich etwas aufgestaut, die Unzufriedenheit ist größer als nur Epstein. Das Gegrummel über die Kürzungen im Krankenversicherungsschutz vieler Amerikaner konnte noch halbwegs unter der Decke gehalten werden, aber es rumort weiter. Der republikanische Senator Josh Hawley will, obwohl er dafür gestimmt hat, die Kürzungen jetzt wieder rückgängig machen. Nicht alle in der MAGA-Sphäre finden die Deportationen toll, siehe den Podcaster Joe Rogan. Vor vier Wochen dann gab es bereits einen Vorläufer der aktuellen Debatte, als Trump die Atomanlagen im Iran bombardiert hat. Augenreiben bei vielen MAGAisten. Trump hatte doch versprochen, die USA aus Kriegen rauszuhalten? Dass sich jetzt aber Trump und das Justizministerium scheinbar auf die Seite pädophiler Machteliten hinter den Kulissen stellen, dem Inbegriff alles dessen, wogegen MAGA einmal angetreten war, ist einfach zu viel. Plötzlich sieht man die unappetitlichen Fotos von Epstein und Trump mit anderen Augen. Und es kommen die Dinge hoch, die schon länger für Unmut sorgen, der oben zitierte Artikel im MAGA-Blatt “The American Conservative” nennt eine Reihe wunder Punkte, die belegen sollen, dass Trump die Bewegung verraten hat.
Zweitens, Trump gelingt es nicht, die Basis zu kontrollieren. Das ist völlig neu. Seine Versuche, die Diskussion durch ein Machtwort zu beenden, werden ignoriert, zum Teil sogar belächelt. Leute wie Tucker Carlson und Alex Jones fangen an, sich in ihren Sendungen und auf X auf Trump einzuschießen. Steve Bannon prognostiziert, dass der Epstein-Fallout die Republikaner 40 Sitze im Repräsentantenhaus und die nächste Präsidentschaftswahl kosten wird. Hier ist etwas ins Rutschen gekommen, MAGA ist nicht mehr gleichbedeutend mit Trump.
Drittens, wenn es nicht einmal mehr Trump gelingt, die Meute einzufangen, wer soll es denn dann tun? Ganz bestimmt nicht Vance, der bei weitem nicht die emotionale Verbindung von Trump zur Basis hat, im Senat mit seiner pattbrechenden Stimme die Kürzungen in der Krankenversicherung beschlossen und soeben seine eigene Kehrtwende bei Epstein hingelegt hat. Und was wird aus MAGA, wenn niemand mehr da ist, die unterschiedlichen Strömungen vom Isolationismus über den Wirtschaftsnationalismus, den Rassismus, die Wendung zur Arbeiterklasse, den christlichen Fundamentalismus, die Tech-Industrie und den allgemeinen Hass auf das Establishment (“der Sumpf”) zu bündeln und in seiner Person zu verkörpern? Und wenn MAGA sich zerlegt, was wird aus der Republikanischen Partei, die in den letzten zehn Jahren alle unabhängige Glaubwürdigkeit verloren hat?
Die Macht von Trump ist MAGA - die breite Basis und die vielen Influencer in den neuen Medien, nichts anderes. Der Glaube an Trump als Erlöser. Dieser Glaube ist nicht zerstört, aber er hat in den letzten Wochen fette Risse bekommen. Risse, die nur größer werden können, wenn wir berücksichtigen, dass der “Erlöser” ein alter Mann ist. Erlöser können keine alten Männer sein, sie brauchen Zukunft. Und sie sollten nicht ihre Ideale verraten. Wenn beides zusammenkommt, das Alter und der Verrat, dann erodiert die Macht. Donald Trump ist wie Logan Roy in der phänomenalen US-Serie Succession. Eine Naturgewalt, ganz sicher, ein ernstzunehmender Gegner, auf jeden Fall - am Ende aber ein Auslaufmodell. Und mit Trump möglicherweise auch MAGA.
Wenn nicht soviele drunter leiden würden, wäre es Witzig mit anzusehen wie so mancher merkt das er sich ins Bein geschossen hat.