Der NATO-Gipfel in den Haag war gut gelaufen. Einigkeit zwischen den Verbündeten: Putin ist zu Frieden nicht bereit, sondern versucht, Trump hinzuhalten, die Hilfe für die Ukraine wird deshalb fortgesetzt, die Verteidigungsausgaben im Bündnis werden massiv erhöht. Ein paar Tage später Entsetzen. Das Pentagon gibt bekannt, dass es die Lieferung von Flugabwehrraketen und Präzisionsmunition an die Ukraine mit sofortiger Wirkung einstellt, einschließlich aller Waffen, die zu dem Zeitpunkt bereits auf dem Weg in die Ukraine waren. Was war jetzt wieder los?
Den Präsidenten durfte man nicht fragen. Der wusste es nämlich auch nicht und hat sich nicht entblödet, seinerseits die Reporterin von CNN zu fragen, wer diese Entscheidung getroffen habe.
Was war passiert? Auf dem Weg nach den Haag hatte Trump das Pentagon um Zahlen zu den Waffenvorräten der USA gebeten, insbesondere zu Flugabwehrsystemen. Diese Frage - so eine Version - hat Hegseth falsch verstanden und geglaubt, Trump wolle, dass er die Waffenlieferungen stoppe. Oder - dies die wahrscheinlichere Version - das Pentagon hatte längst beschlossen, die Waffenlieferungen zu stoppen und hat die Frage von Trump als Anlass genommen, unter Verweis auf Lücken in den eigenen Beständen die Lieferungen ganz einzustellen. Hierfür spricht, dass Hegseth bereits mindestens zweimal zuvor, eigenmächtig Waffenlieferungen an die Ukraine gestoppt hat, in beiden Fällen aber zurückgepfiffen worden ist. Dafür spricht außerdem, dass Elbridge Colby, Staatssekretär im Verteidigungsministerium für Strategiefragen, seit seiner Ernennung einen dezidierten “America-First”-Kurs fährt und sich hiermit immer wieder im Haus durchsetzt. Colby, einer der wenigen Intellektuellen in der Regierung, ist Vertreter eines neoisolationistischen Kurses, nach dem die USA weder Europa noch die Europäer brauchen, sondern sich ganz auf den kommenden Konflikt mit China vorbereiten müssen. Wie es scheint, hat Colby sich mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister Steve Feinberg verständigt, die Waffenlieferungen erneut zu stoppen, und das Ganze dann zur Unterschrift Hegseth vorgelegt. Hegseth, dessen Bürochaos und kompletter Mangel an Urteilskraft in Washington allgemein bekannt sind, hat dann unterschrieben. Ob er den Ärger von Trump über Putin beim NATO-Gipfel nicht mitbekommen oder generell nicht verstanden hat, was er mit seiner Unterschrift gerade tut, bleibt Spekulation.
Ebenso wichtig ist aber, was er nicht getan hat. Denn Hegseth hat weder den Kongress noch den Außenminister noch das Weiße Haus noch den Sonderbeauftragten für Ukraine noch den Präsidenten über seinen Schritt informiert - die Verbündeten, denen Trump gerade was ganz Anderes erzählt hatte, sowieso nicht. Trump und der Rest der Regierung haben erst aus dem Fernsehen erfahren, dass sie soeben eine außenpolitische Wendung um 180 Grad hingelegt hatten. Sie waren nicht erfreut.
Der Stopp der Waffenlieferungen ist umgehend wieder rückgängig gemacht worden, und das Weiße Haus hat sich nolens volens ein weiteres Mal hinter Pete Hegseth gestellt. Trump wollte ihn und hat ihn entgegen massiver Bedenken in der eigenen Partei durchgesetzt, da kann er ihn nach einem halben Jahr nicht wegen Inkompetenz rausschmeißen, das würde auf ihn selbst reflektieren. Interessanter ist, welches Licht der Vorgang auf die Arbeit der Regierung generell wirft. Von Zusammenarbeit kann offenbar keine Rede sein, das Pentagon hat nicht nur einen, sondern, wie jetzt bekannt geworden ist, mehrere Alleingänge hingelegt und findet offenbar auch nichts dabei, den eigenen Präsidenten öffentlich zu blamieren. Die Vorgänge innerhalb des Ministeriums scheinen Hegseth völlig entglitten zu sein, es sind die nachgeordneten Ebenen, die die Entscheidungen treffen und dabei versuchen, nicht nur das eigene Haus, sondern die gesamte Regierung vor sich her zu treiben. Einen ähnlichen Verdacht habe ich manchmal auch in anderen Politikbereichen, z.B. den Deportationen.
Richtig ist, sobald sich Trump einschaltet, gilt dessen Entscheidung. Mit der täglichen Regierungsarbeit, selbst in Kernbereichen, hat er aber wenig zu tun. Nur so entsteht überhaupt die Konfusion bzw. der Raum für andere Akteure bis hinunter zur dritten Ebene, ihre Vorstellungen so massiv zur Geltung zu bringen. Mit anderen Worten, die Regierungsmannschaft zieht nicht an einem Strang, sie agiert teilweise sogar gegeneinander, und es kann im Einzelfall unklar sein, wer in Washington in einer Frage gerade den Ton angibt. All das verstärkt den Zickzackkurs, zu dem Trump selbst neigt, noch weiter. Andererseits eröffnet es die Möglichkeit, bereits getroffene Entscheidungen wieder in Frage zu stellen, man muss nur die richtigen Gesprächspartner finden. Das wird nicht das letzte Beispiel dieser Art gewesen sein.