Es kam nicht ganz überraschend. Samstagabend unserer Zeit hat POTUS den Alien Enemies Act (AEA) von 1798 aktiviert, ein Gesetz, dass die Festsetzung und Abschiebung von Ausländern im Kriegsfalle erlaubt (eine knappe Orientierung hier). Um das Gesetz anzuwenden, braucht es eine öffentliche Erklärung des Präsidenten, in der er sagt, gegen welche Gruppe von Personen er es nutzen möchte und was die Begründung hierfür ist. Deutsche Medien haben auf Basis eines Agenturberichts darüber berichtet (z.B. hier), da es sich aber um eine etwas technische Materie handelt, bei der zugleich die ganz großen Fragen aufgeworfen werden, will ich dennoch versuchen, a) das Gesetz kurz vorzustellen, b) die rechtlichen Fragen, die damit verbunden sind, zu skizzieren und c) abschließend eine politische Bewertung vorzunehmen.
Das Gesetz ist Ende des 18. Jahrhunderts verabschiedet worden, als die USA befürchten mussten, in einen Krieg gegen das revolutionäre Frankreich verwickelt zu werden. Seitdem ist es in Kraft, aber nur in insgesamt drei Fällen genutzt worden, jedes Mal in Kriegszeiten, zuletzt während des 2. Weltkrieges. Die entscheidende Passage (Hervorhebungen von mir) lautet:
“Whenever there is a declared war between the United States and any foreign nation or government, or any invasion or predatory incursion is perpetrated, attempted, or threatened against the territory of the United States by any foreign nation or government, and the President makes public proclamation of the event, all natives, citizens, denizens, or subjects of the hostile nation or government, being of the age of fourteen years and upward, who shall be within the United States and not actually naturalized, shall be liable to be apprehended, restrained, secured, and removed as alien enemies.”
Wie aus dem Text deutlich hervorgeht, handelt es sich um eine Ermächtigung des Präsidenten im Falle eines Krieges mit einem anderen Land. Laut Text kann man den Kriegsfall auf zweierlei Weise verstehen, einmal besteht Krieg, wenn er offiziell erklärt wurde, das andere Mal ist Krieg, wenn eine gegnerische Macht in das Territorium der USA eindringt, egal, ob das von einer Kriegserklärung begleitet wird oder nicht. Auf jeden Fall, und das ist wichtig, muss es sich um Feindseligkeiten mit einer ausländischen Nation oder Regierung handeln. Es reicht nicht, dass irgendeine aus dem Ausland kommende Gruppe in das Land eindringt. Im Kriegsfalle ist der Präsident dann ermächtigt, BürgerInnen des Feindes, die sich in den USA befinden, festzunehmen und außer Landes zu bringen. Die Betroffenen haben in diesem Fall keine (!) Rechte, dagegen vorzugehen.
Direkt nach Amtsantritt hat TRUMP ein Dekret unterzeichnet, wonach die Situation an der Südgrenze als „Invasion“ qualifiziere und er deshalb das Recht hätte, generell alle illegalen Grenzübertritte zu verhindern. Vergleicht man das mit seiner Erklärung vom Samstag fällt auf, dass es im Gegensatz zum Dekret nicht um unterschiedslos alle illegalen Migranten geht, sondern ausschließlich um die Mitglieder einer bestimmten Drogenbande, nämlich der aus Venezuela stammenden Tren de Aragua. Nur diese sind also von der Ausrufung des AEA betroffen. Diese Gruppe, so TRUMP, sei eng mit dem Maduro-Regime verflochten. Aufgrund ihrer Aktivitäten in den USA stelle POTUS deshalb fest, dass es sich um eine Invasion im Sinne des AEA handle. Alle Mitglieder der Gruppe in den USA, die über 14 Jahre alt sind und die weder eingebürgert sind noch eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung haben, sollten sofort festgesetzt und ausgewiesen werden. Vom Wortlaut her ist das also eine ziemlich klar definierte Gruppe. Es geht weder um Venezuelaner allgemein, noch um Venezuelaner ohne Aufenthaltsberechtigung, noch um etwaige Mitglieder der Gruppe mit Aufenthaltsberechtigung oder US-Staatsbürgerschaft.
Trotzdem handelt es sich um einen kompletten Bruch mit dem bisherigen Verständnis des AEA und seiner Anwendung. Zum ersten Mal wird dieses Gesetz in einer Situation angewendet, die nach allgemeinem Verständnis als Frieden gilt. Die USA sind nicht im Krieg mit Venezuela. Es gibt keine Kriegserklärungen, es gibt keine Kämpfe zwischen den Armeen der beiden Länder und es gibt auch keine Invasion in dem Sinne, dass feindliche Truppen in das Territorium der USA eingedrungen sind. Drogenbanden sind keine feindliche Streitkräfte, sondern kriminelle Vereinigungen, die mit den Mitteln der Strafverfolgung bekämpft werden, nicht, indem man einen angeblichen Kriegsfall ausruft, der die normalen Gesetze aushebelt. Mit anderen Worten, der AEA ist schlicht nicht anwendbar.
Oder?
Denn aus Sicht der TRUMP-Administration und der Republikaner ganz allgemein handelt es sich um eine Invasion. Eine Invasion brauche keine Armeen, sondern es reiche das Eindringen feindlicher Kräfte, die, zumal in angeblicher Abstimmung mit dem Maduro-Regime, schwerste Straf- und Gewalttaten innerhalb der USA begehen. In einem übertragenen, aber ausreichenden Sinne, handele es sich um eine Invasion.
Ein Fall für die Gerichte also. Und dann die Berufungsgerichte. Und am Ende das Oberste Gericht. Und wie die entscheiden, steht in den Sternen. Denn die Gerichtsbarkeit in den USA billigt dem Präsidenten seit dem 2. Weltkrieg einen ganz erheblichen Freiraum bei Entscheidungen zur nationalen Sicherheit zu, ein Freiraum, den auch Präsidenten der Demokraten, insbesondere OBAMA, gerne weit ausgeschöpft haben. Zudem gibt es seit 1962 ein Urteil des Obersten Gerichts (Baker v. Carr), wonach die Gerichte ganz generell politische Entscheidungen der Verfassungsgewalten, soweit diese von deren verfassungsmäßigen Kompetenzen abgedeckt sind, zu respektieren hätten. Und es ist Konsens, dass der Präsident für die nationale Sicherheit zuständig ist. Wenn POTUS sagt, es ist eine Invasion, dann ist es - nach dieser Lehre - eine Invasion.
Was bedeutet das alles? Die ersten paar hundert angeblichen Mitglieder der Tren de Aragua sind abgeschoben worden und befinden sich in Hochsicherheitsgefängnissen in El Salvador und Honduras. Dort werden sie vermutlich auf Dauer bleiben, und zwar unter Umständen, die mit westlichen Vorstellungen von Strafvollzug nichts zu tun haben. Wir wissen nicht, wer diese Menschen sind, ob sie in den USA bereits verurteilt waren oder einfach verhaftet wurden und ob sie tatsächlich Bandenmitglieder sind. Das zeigt die Macht dieses Gesetzes. Die US-Regierung kann, wenn sie von Gerichten nicht gestoppt wird, auf Basis des AEA nahezu jeden Ausländer (in diesem Fall Venezuelaner) festnehmen, außerhalb des normalen Strafvollzugs einsperren, z.B. in eigene Lager, und wohin auch immer abschieben, ohne hierbei in irgendeiner Form Rechenschaft abzulegen.
Mehr noch, die TRUMP-Administration macht den Ausnahmefall – Krieg – zum Regelfall. Wenn der AEA auf das Vorgehen von Drogenbanden, Terrorgruppen usw. angewendet werden kann, die nun mal einfach Teil der Gegenwart sind, befindet sich das Land de facto immer im Zustand der Invasion und man kann immer den AEA aktivieren und irgendeine Gruppe bestimmen, deren „Mitglieder“ in irgendwelche Lager oder Hochsicherheitsgefängnisse abgeschoben werden, ohne dass das Gesetz den Betroffenen oder anderen Parteien die Möglichkeiten gäbe, sich dagegen zu wehren. Es besteht also die große Gefahr, dass die Administration, eine Sonderermächtigung zum Dauerzustand macht und sich die Möglichkeit schafft, zu einem beliebigen Zeitpunkt gegen Ausländer vorzugehen, die der Administration unlieb sind, ohne hierbei irgendeiner Kontrolle zu unterliegen. Das betrifft auch Menschen mit Aufenthaltsberechtigungen. Dass die TRUMP-Administration diese Gruppe im Falle der Tren de Aragua ausgenommen hat, war eine politische Entscheidung, keine rechtliche Notwendigkeit.
Das Ausrufen einer Invasion eröffnet zudem einen Raum weiterer Möglichkeiten. Die USA sind ja angeblich im Krieg oder zumindest einer Invasion ausgesetzt. Ein Beispiel: Laut US-Verfassung hat der Kongress im Falle einer Invasion das Recht, den Grundsatz von Habeas Corpus außer Kraft zu setzen, also das Recht, eine Verhaftung von einem unabhängigen Gericht überprüfen zu lassen. Das Ausrufen einer Invasion durch den Präsidenten eröffnet also theoretisch die Möglichkeit, Habeas Corpus für alle, auch US-Amerikaner, außer Kraft zu setzen. Soweit sind wir noch nicht. Die verfassungsrechtlichen Implikationen der Proklamation vom Samstag sind aber beängstigend.
Die Zivilgesellschaft hat sofort auf die neue Situation reagiert. Kaum hatte TRUMP am Samstag den AEA verkündet, ist von Bürgerrechtsorganisationen bereits dagegen geklagt worden. Ein Bundesrichter hat noch am Samstag entschieden, dass für 14 Tage alle Abschiebungen auf Basis des AEA ausgesetzt werden müssen und angeordnet, die bereits gestarteten Flugzeuge zurückzuholen. Nach allem, was wir derzeit wissen, hat die Administration diese Anordnung allerdings einfach ignoriert. Zwar hat es in den letzten 36 Stunden scheinbar keine weiteren Abschiebungen gegeben, trotzdem könnte sich der Fall durch die Weigerung, die Flugzeuge zurückzuordern, zu einer genuinen Verfassungskrise auswachsen, in der die Regierung von Fall zu Fall beschließt, Entscheidungen der Justiz einfach nicht mehr zu befolgen. Damit wäre das konstitutionelle System der USA de facto außer Kraft gesetzt.