Welch ein Schock. Eine Schicksalswahl, in der es laut Demokraten um nichts anderes ging als die Zukunft der Demokratie in den USA, endet mit dem Verlust beider Kammern im Kongress und einer bitteren Niederlage gegen Donald Trump. Und das nicht nur, wie 2016, im Electoral College, sondern diesmal auch in der absoluten Stimmenzahl. Die Katastrophe vom letzten November hat die Demokratische Partei der USA in ein tiefschwarzes Loch aus Fassungslosigkeit, Verunsicherung und Konfusion gestürzt. Seitdem ist nichts mehr, wie es war. Was, verdammt noch mal, ist da passiert? Und wie kann man aus diesem Loch wieder rauskommen, eine glaubwürdige Alternative zum autoritären Rechtspopulismus von MAGA bieten und vor allem die Präsidentschaftswahl 2028 gewinnen?

Das sind große Fragen, die in einem einzelnen Post gar nicht zu bewältigen sind. Ich gliedere den Stoff deshalb in drei Teile. Heute stelle ich einige wichtige Ergebnisse aus der Aufbereitung der Präsidentschaftswahl vor. Diese Zahlen zeichnen ein erschreckendes Bild, dessen Relevanz ganz sicher über die USA hinaus geht. Hierbei stütze ich mich auf die Analyse von David Shor, einem Datenanalysten, dessen Firma Blue Rose viel für die Demokratische Partei arbeitet. Shor hat seine Ergebnisse im Lauf des März verschiedenen Spitzenvertretern der Partei vorgestellt; was ich präsentiere, ist also auch ungefähr das Bild, von dem die Führung der Demokraten bei ihren Überlegungen für die Zukunft ausgehen dürfte. Ich ergänze diese Analyse durch drei Aussagen aus der einzigen weiteren umfassenden Wahlanalyse, die mir bekannt ist, und die das Bild von Shor noch etwas klarer machen. Am Ende fasse ich dann alles in einem Befund zusammen. Sofern nicht die aktuellen Entwicklungen dazwischen kommen, werde ich in einem zweiten Post in einigen Tagen in die Gegenwart wechseln und das aktuelle Bild der der Demokraten nach der Wahl behandeln. Auch hier greife ich auf Umfragen zurück. Geplant ist außerdem ein dritter Teil, in dem ich auf den Umgang der Demokraten mit ihrer Niederlage sowie die Positionierungen möglicher Kandidaten und Kandidatinnen für die nächste Präsidentschaftswahl eingehe.
Die Ergebnisse von Shor können in fünf Hauptaussagen zusammengefasst werden:
Während Weiße und Schwarze etwa so gewählt haben wie 2020 und 2016, hatten die Demokraten starke bis dramatische Verluste in der asiatischen und Latino-Bevölkerung. Diese Verluste sind besonders ausgeprägt bei den gemäßigt und konservativ orientierten Wählern in beiden Wählergruppen. Während 2020 noch etwa 76% der gemäßigten Asiaten für Biden gestimmt haben, hat Harris nur noch einen 67% Stimmenanteil in dieser Gruppe, ein Minus von 9%. Noch deutlicher bei gemäßigten Latinos. Harris hat diese Gruppe zwar mit 58% gewonnen, musste aber ein Minus von 12% gegenüber 2020 und dramatischen 23% gegenüber 2016 hinnehmen. Konservativ eingestellte Latinos, die 2016 noch immerhin mit 34% für Clinton gestimmt haben, haben jetzt nur noch zu 17% für Harris gestimmt. Selbst unter eher links orientierten Latinos hat Harris ein Minus von 8% gegenüber Clinton. Diese Entwicklung spiegelt sich in einem weiteren Ergebnis von Shor, in dem er die Wahlkreise betrachtet. Je höher der Anteil eingebürgerter Personen, also Menschen mit Migrationsgeschichte, die inzwischen die amerikanische Staatsbürgerschaft haben, in einem Wahlbezirk, desto eher hat sich dieser Wahlbezirk für Trump entschieden. Dies ist genau das Gegenteil von dem, was man bisher erwartet hat.
Personen, die sich nicht stark für Politik interessieren, haben sich in den letzten vier Jahren erdrutschartig Trump zugewendet. Abzulesen ist das laut Shor an der Gruppe der 2020-Nichtwähler. Dieses Segment war 2020 noch für Biden (obwohl sie nicht wählen gegangen sind) hat ihre Sympathien im Laufe der letzten vier Jahre aber zu Trump verlagert. Sofern diese Gruppe wählt, liegt Trump dort inzwischen im zweistelligen Bereich vorne. Und das hat Auswirkungen. Wenn, so Shor, alle Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben hätten, hätte Trump noch deutlicher gewonnen, nämlich mit 52,4% zu 47,6% statt des tatsächlichen Wahlergebnisses von 50,7% zu 49,3%. Mit anderen Worten, je mehr Leute wählen, desto schlechter schneiden die Demokraten ab. Um Shor zu ergänzen, es geht hier primär um die Bewertung der beiden Kandidaten bzw. Lager durch das Bevölkerungssegment, das sich nicht stark für Politik interessiert. Sobald diese Menschen wählen, stimmen sie im Gegensatz zu früher jetzt für Trump. Das könnte auch ein Grund für den oben erwähnten Befund sein, dass Wahlbezirke mit hohem Anteil eingebürgerter Migranten zu Trump tendieren. Der sozioökonomische Status dieser Gruppe ist oft niedrig und ihr Bildungsgrad gering. Dementsprechend wenig verfolgen sie Politik. Ihr Wahlverhalten entspricht einfach dem ihrer Schicht.
Junge Wähler, insbesondere junge Männer zwischen 18 und 25 haben sich für für Trump entschieden. Das gilt ganz besonders stark für junge weiße Männer. In dieser Gruppe hat Harris keine 30% der Stimmen erhalten.
Das Erbe von Biden war eine schwere Last. Nur 37% der US-BürgerInnen haben die Amtszeit von Biden am Ende positiv beurteilt. Kamala Harris ist es als Vizepräsidentin nicht gelungen, sich glaubwürdig davon zu distanzieren. Anders als Biden im Wahlkampf 2020 hatte sie am Wahltag bei der Zustimmung über die gesamte Bevölkerung einen negativen Wert von -6, eine gewaltige Hypothek für eine Erstkandidatin. Wichtiger aber ist noch, dass die Demokraten insgesamt ein riesiges Vertrauensdefizit in fast allen wichtigen Politikbereichen haben. In praktisch allen aus Wählersicht zentralen Fragen hatten die WählerInnen erheblich mehr Vertrauen in die Republikaner als in die Demokraten (siehe die rechte Hälfte der Grafik).
Die Wirtschaft, insbesondere Inflation war das beherrschende Thema für die Wählerschaft. Themen, die mit den Demokraten assoziiert werden, wie LGBTQ, Klimawandel, aber auch die Sicherung der Demokratie vor der Bedrohung durch Donald Trump haben die Wähler im Vergleich hierzu schlicht nicht interessiert. Sie wollten, dass ihr konkretes Leben besser wird. Überwältigende 78% der Wählerschaft fanden reale Verbesserungen im Leben der Bürger wichtiger als die Institutionen der USA zu bewahren. 53% sind der Meinung, die USA seien so kaputt, dass eine Schocktherapie notwendig sei.
Das Bild, das Shor zeichnet, wird durch die zweite mir bekannte Datenerhebung zur Präsidentschaftswahl bestätigt. Ich will die bisherige Diskussion nur mit drei besonders relevanten Zahlen ergänzen, die das gigantische Problem, vor dem die Demokraten stehen, ganz deutlich machen. 1) 58% der WählerInnen bei der letzten Präsidentenwahl hatten keinen Collegeabschluss. 2) Diese Gruppe hat mit 56% für Trump gestimmt. Und 3) gliedern wir das Wahlverhalten nach Einkommensgruppen (weniger als 50.000, weniger als 100.000, über 100.000 $), ist die einzige Gruppe, in der Harris vorne lag, die mit einem Haushaltseinkommen von über 100.000 $.
Für die Demokraten ist das alles in der Summe ein existenziell bedrohlicher Befund. Die Republikaner, die sich inzwischen zunehmend mit MAGA identifizieren - die alte Republikanische Partei gibt es nur noch in Resten -, haben in den USA vermutlich auf Jahre hinaus eine strukturelle Mehrheit, die sich in dem knappen Wahlergebnis vom letzten November noch nicht einmal komplett abbildet. Diese Mehrheit speist sich aus Menschen mit mittleren bis geringen Einkommen und ohne höheren Bildungsabschluss. Das sind Wähler, die seit dem 2. Weltkrieg traditionell für die Demokraten gestimmt haben, und jetzt in MAGA ihren Fürsprecher sehen. Gelingt es den Republikanern, diese Menschen zu aktivieren, werden sie jede landesweite Wahl gewinnen. Derselbe Trend ist bei den Wählergruppen der asiatisch stämmigen Bevölkerung, Latinos und jungen Menschen zu beobachten, alles Gruppen, in denen die Demokraten früher ebenfalls ganz klare Mehrheiten erzielt haben. Selbst die Unterstützung durch die schwarze Bevölkerung beginnt zu bröckeln, wenn auch noch bei weitem nicht im selben Ausmaß. Setzen sich diese Trends fort, wird das Problem der Demokraten nur noch größer.
Diese Wählerwanderungen liegen darin begründet, dass die Demokraten von heute nicht mehr als Partei des kleinen Mannes wahrgenommen werden, sondern als Vertreter einer urbanen Elite. New York oder San Francisco statt Lincoln, Nebraska. Sieht man sich die Wahlanalysen an, stimmt das auch. Dass die einzige Einkommensgruppe, in der Harris gewonnen hat, Menschen mit einem Einkommen über 100.000 $ sind, müsste alle Alarmglocken der Demokraten in den Dauerbetrieb schicken. Die Inhalte, mit denen die Demokraten von heute assoziiert werden, bestätigen das. Diese Themen lassen viele Wähler einfach kalt. Sie wollen keine Moralpredigten, sie wollen reale, konkrete Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen, Verbesserungen, die Trump verspricht. Ob sich die Prioritätensetzung der Wählerschaft im Zuge der aktuellen, dramatischen Ereignisse ändert, bleibt abzuwarten, ich bin aber skeptisch. So oder so, die Demokraten haben gewaltige Aufgaben vor sich.
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Die "strukturelle" Mehrheit der Demokraten könnte sich aber schnell verändern. Wenn Trump im Weißen Haus so weitermacht, verlieren viele Amerikaner sehr viel Geld. Die in Aktien angelegte Altersversorgung gerät ins Rutschen und damit dürften auch die Sympathien für MAGA, Trump und die Republikanische Partei schwinden. Aber natürlich gibt es ein Bildungsproblem und die Gleichung: Je ungebildeter und schlichter, desto eher die Neigung zu Trump. Das ist in unserem Land mit der AfD nicht anders. Herzlichen Dank für die Wahanalyse!
Was macht eigentlich Kamala Harris? Ich hatte so viele Hoffnungen in sie gesetzt.