Fünf Monate, die sich anfühlen wie fünf Jahre. Immerhin ist so viel geschehen, dass man erste valide Einschätzungen zur Amtszeit von Nr. 47 wagen kann. Was nicht heißt, das den USA und der Welt nicht noch einiges bevorsteht. Da kommt noch eine Menge und insbesondere ein Krieg gegen den Iran würde die Lage außen- wie innenpolitisch massiv verändern. Ich will trotzdem versuchen, eine erste Bilanz zu ziehen.
Der Hintergrund
Trump als Person hat sich, so viel ist deutlich geworden, gegenüber seiner ersten Amtszeit nicht sehr verändert, er ist genau derselbe narzisstische, chaotische und nationalchauvinistische Politiker, der er damals schon war. Statt Twitter ist es jetzt Truth Social. Sein Wunsch nach Rache mag nach zwei Amtsenthebungsverfahren, einer nach seiner Meinung gestohlenen Wahl und einem Anschlag stärker geworden sein, aber das sind nur Verschiebungen, keine wesenhaften Veränderungen. Was sich hingegen grundsätzlich verändert hat, sind die Bedingungen, unter denen Trump agiert. Denn, und dieser Punkt ist wichtig, die Beschränkungen seiner ersten Amtszeit gibt es nicht mehr. Das betrifft mehrere Bereiche. Zum ersten gibt es in der Regierung keine Persönlichkeiten mehr, die Widerspruch einlegen oder sogar Maßnahmen verhindern. Trump hat in seiner zweiten Runde Figuren in höchste Ämter gehoben, von denen jede kompetente Regierung weiten Abstand halten würde. Ergebnis ist, dass es von der Bildungsministerin bis zum FBI-Chef niemanden mehr gibt, deren oder dessen Wort das geringste Gewicht hat. Einzige Ausnahme ist möglicherweise die Stabschefin, Susie Wiles. Die Kabinettsmitglieder und Behördenchefs sind austauschbare MAGA-Marionetten, Menschen, die sich für ein paar Silberlinge verkauft haben. Das gilt vor allem für die Sicherheitsbereiche Justiz, Heimatschutz, Verteidigung und FBI. Auch Außenminister Marco Rubio, der in einem früheren Leben Statur besessen hat, hat erkannt, dass er sein Amt nur mit bedingungsloser Unterwerfung behalten kann. Selbst wenn es jemand wagen würde, sich gegen Trump zu positionieren, würde dieser einfach kurzen Prozess machen, ohne dass es irgendwelche negativen Konsequenzen für ihn hätte, weil praktisch niemand in seiner Regierungsmannschaft eigenes Gewicht mitbringt. Tulsi Gabbard, die Koordinatorin der Nachrichtendienste, hat das in den letzten Tagen erfahren.
Zum zweiten ist die Herrschaft von Trump über die Republikanische Partei total. Die Mehrheit der Mitglieder identifiziert sich inzwischen als MAGA und selbst diejenigen, die es nicht tun, werden sich hüten, sich der Rache von Trump auszusetzen. Jede/r die oder der ein politisches Amt bekleidet, weiß, dass eine unabhängige Linie sehr wahrscheinlich zum Verlust der Kandidatur für die nächste Wahl führt. MAGA-Welt würde sofort parteiinterne Gegenkandidaten aufstellen und mit viel Geld und einer üblen Hetzkampagne alles tun, um den Abweichler zu bestrafen und für immer auszuschließen. Die Tonlage von MAGA-Welt ist in diesen Fällen, wie man auf X verfolgen kann, durch eine erschreckende Brutalität und Herabwürdigung gekennzeichnet, die auch vor alten Freunden nicht zurückschreckt. Das hat zur Folge, dass es so gut wie keine Kongressabgeordneten der Republikaner gibt, die eigene Positionen vertreten. Und da die Republikaner derzeit in beiden Häusern die Mehrheit haben, hat das wiederum zur Folge, dass der Kongress, eigentlich eine unabhängige Gewalt im amerikanischen Regierungssystem, sozusagen nicht mehr existiert. Zum ersten Mal ist das 2021 ganz deutlich geworden, nachdem Trump versucht hatte, eine Wahlniederlage erst durch Betrug und dann durch einen bewaffneten Aufstand zu drehen und die Republikaner sich trotz der offenkundigen Beweislage geweigert haben, einer Amtsenthebung zuzustimmen. Ein versuchter Staatsstreich war kein Grund, sich von Trump zu trennen, das muss man sacken lassen. Das war bei Nixon noch anders und zeigt, was aus dieser Partei geworden ist. Seitdem kann Trump machen, was er will, die Republikaner und damit der Kongress haben sich ihm ausgeliefert und werden ihn - zumindest bis zu den nächsten Wahlen - bedingungslos in seiner Agenda unterstützen.
Und zum dritten hat das Oberste Gericht in seinem Immunitätsurteil vom letzten Jahr Trump einen kompletten Freibrief gegeben, zu tun, was er möchte, ohne irgendwelche strafrechtlichen Konsequenzen befürchten zu müssen, solange sein Handeln auch nur im geringsten Zusammenhang mit der Ausübung seiner Aufgaben als Präsident steht. Ich habe die Urteilsbegründung letztes Jahr ausgiebig studiert und halte es nicht für übertrieben zu sagen, er könnte nach diesen Maßstäben in seiner Eigenschaft als Commander-in-Chief einen politischen Konkurrenten zu einer Gefahr für die nationale Sicherheit erklären und ihn durch ein Kommando Marines umbringen lassen. Man könnte ihn dafür strafrechtlich nicht belangen. Das bedeutet nicht, dass er jetzt z.B. Wahlen abschaffen oder die Opposition verbieten könnte, das wäre illegal. Aber es bedeutet, dass man ihn persönlich für keine Handlung, z.B. einen versuchten Umsturz, mehr strafrechtlich belangen könnte. Und das schafft Freiheiten. Persönlich kann ihm nichts mehr passieren, ganz egal, was er tut.
Mit anderen Worten, noch nie hat ein US Präsident eine solche Machtfülle besessen wie die Nr. 47. Diese Präsidentschaft ist die Präsidentschaft eines einzigen Mannes, wie es bisher keine gewesen ist. Was macht Trump damit und wie hat er das Land seit Januar 2025 verändert?
Der Stil der Regierung
Man muss es so deutlich sagen. Diese Regierung und ihr Präsident sind in einem in der Geschichte der USA bisher nicht gekannten Ausmaß unmenschlich, lügnerisch und korrupt. Nur ein Beispiel: eine halbe Million Menschen sind unter Biden völlig legal in die USA gekommen und haben sich in vielen Fällen eine Existenz aufgebaut. Mit einem Federstrich hat Trump im April diesen Personen über Nacht die Aufenthaltsberechtigung entzogen. Seitdem macht das Heimatschutzministerium in Straßen und Arbeitsplätzen wörtlich Jagd auf diese Menschen, um sie einzusperren und abzuschieben. Kleinkinder werden buchstäblich auf der Straße sitzen gelassen, während ihr Vater abtransportiert wird. Viele dieser Leute haben einen längerfristigen Aufenthaltstitel beantragt und hierfür irgendwann einen Termin beim Gericht oder den Einwanderungsbehörden bekommen. Wenn sie jetzt zu diesem Termin erscheinen, steht ICE (Immigration and Customs Enforcement) bereits da und verhaftet sie. Sie werden dafür bestraft, dass sie sich an die Gesetze halten. Und während Trump & Konsorten sich mit dieser Präsidentschaft die Taschen füllt, zeichnen sie diese Menschen als Tiere, Räuber, Vergewaltiger und Schmarotzer und feiern sich selbst mit hämischer Freude über jede zerstörte Existenz und jede auseinandergerissene Familie.
Noch eine Besonderheit dieser Präsidentschaft ist das Sykophantentum, das Trump einfordert und erhält. Die Kabinettssitzung vom 30. April war selbst konservativen Journalisten zu viel (siehe hier und hier, lohnt sich!). Ohne Selbsterniedrigung geht es nicht, wenn man Teil von Trump-Welt sein will. Dabei ist sich MAGA-Welt (außer den Zynikern wie Bannon, Vance oder Thiel) einig, Trump ist unter den 47 Präsidenten der größte, größer und bedeutender als Washington, Lincoln, FDR oder Reagan. Und genau das sagen sie ihm ohne Unterlass. Die Abgeordnete Nancy Mace schreibt nach der Bombardierung der iranischen Nuklearanlagen z.B. auf X:
Just texted
to congratulate him. Greatest president in American history! I’m speechless. He’s done what no one else could ever do.
So geht es in einem fort. Das ist der übliche Ton in MAGA-Welt, nicht nur bei irgendwelchen Hillbillies, sondern bei Abgeordneten im Kongress oder Ministern am Kabinettstisch. Man kann tatsächlich schon froh sein, wenn nicht Vergleiche zu Jesus gezogen werden.
Diese maßlose Anbetung ginge wahrscheinlich an wenigen spurlos vorbei, ganz sicher nicht an Trump. Deutlicher und früher als in seiner ersten Amtszeit zeigt sich die absurde Selbstüberschätzung von 47. Das Bild von ihm als Papst mag ein Scherz gewesen sein (vielleicht aber auch nicht), sein Glaube, er hätte den Friedensnobelpreis verdient, und zwar nicht nur einmal, sondern in Serie, ist ihm allerdings völlig ernst. Dass er ihn nicht bekommt, verstärkt sein Gefühl, dass ihm böse Mächte immer vorenthalten, was rechtens ihm gehört. Das ist das Gefühl, aus dem er handelt.
Die sterbende Demokratie?
Die ersten fünf Monaten haben gezeigt, dass Trump und seine Helfer auf die US-Verfassung pfeifen. Interessiert sie nicht. Was immer sie wollen, ist aus ihrer Sicht ipso facto legitim, Opposition und Hindernisse sind es folglich nicht. Wenn Widerstand auftritt, versucht Trump diesen zu brechen, siehe Harvard. Anwaltskanzleien oder Medien versucht er einzuschüchtern und von lukrativen Aufträgen auszuschließen. Gegen Richter wird per soziale Medien Stimmung gemacht, wenn sie nicht im eigenen Sinne urteilen. Bei Protesten ist sein erster Impuls, das Militär reinzuschicken usw. Am Wunsch und an der Bereitschaft, eine autoritäre Ordnung zu errichten, kann es inzwischen m.E. kaum einen Zweifel mehr geben.
D.h. aber nicht, dass es auch so kommt, denn Trump ist nicht allein auf der Welt. Das System mag unter immensem Druck stehen, aber insgesamt hält es bisher, auch wenn die Abwehr an einzelnen Punkten immer wieder mal durchbrochen wird. Vor allem ist es die Justiz, die bisher für Recht und Verfassung eintritt. Und grosso modo hält sich die Regierung an die Urteile, ein Umstand, der in der Öffentlichkeit zu wenig gewürdigt wird (zuletzt etwa in der Freilassung des Aktivisten Khalil). Sie tut das vielleicht, weil all diese Fälle noch nicht das Oberste Gericht erreicht haben. Wenn dieses für die Regierung urteilt, ist alles gut, wenn nicht, hat man immer noch die Möglichkeit, in die offene Konfrontation zu gehen. Das wäre aber mit Kosten verbunden, nicht zuletzt wäre ein solcher Schritt extrem unpopulär. Müssen wir abwarten. Vorläufig ist die Gewaltenteilung noch intakt.
Auch die Freiheit der Presse ist bisher nicht eingeschränkt. Ja, es gibt einzelne Entscheidungen von Medienunternehmen, die zumindest fragwürdig sind, wie die jüngste Entlassung von Terry Moran bei ABC, aber das sind sehr, sehr wenige Einzelfälle. Ich verbringe jeden Tag mehrere Stunden mit amerikanischer Presse, Podcasts und Social Media und kann sagen, von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit kann nicht die Rede sein - übrigens auch nicht in der Washington Post -, wer so etwas behauptet, weiß entweder nicht, wovon er redet, oder er lügt. Ich sehe im Moment auch nicht, dass sich hieran so bald etwas ändert. Die Gesellschaft kann frei und ohne Gefahr diskutieren.
Um eine autoritäre Ordnung zu errichten, müsste Trump außerdem die 50 Bundesstaaten auf Linie bringen. Er würde vermutlich mit einem anfangen, danach der nächste, vielleicht noch ein dritter, und bis dahin hätten alle verstanden, dass sie nur durch Unterwerfung überleben können. Na gut, theoretisch ist das natürlich denkbar, auch wenn es noch kein offensichtliches Szenario dafür gibt. Aber bisher ist es jedenfalls nicht passiert, zumal das eben auch sofort wieder vor den Gerichten ausgetragen würde, wie jetzt bei der Klage Kaliforniens gegen den Einsatz der Nationalgarde in Los Angeles.
Summa summarum ist die amerikanische Demokratie widerstandsfähig und am Leben, genauso wie sie zwischen der Wahl 2020 und dem 06. Januar trotz aller Bemühungen von Trump, widerrechtlich an der Macht zu bleiben, resilient geblieben ist. Das ist bemerkenswert, ein großer Erfolg und sollte breiter zur Kenntnis genommen werden, statt ständig Faschismus-Alarm auszurufen. Trotzdem gibt es nichts zu beschönigen. Trump 2.0 setzt das Land einem enormen Stresstest aus, und er wird damit nicht aufhören, sondern immer wieder versuchen, eine Schwachstelle zu finden. D.h. auch der Widerstand von Politik, Justiz, Medien und Zivilgesellschaft darf nicht nachlassen, bis Januar 2029 gibt es keine Entwarnung. Dass die Demokraten, von Einzelfällen abgesehen, ein Totalausfall sind bzw. die allgemeine Bevölkerung trotz eines großen Protesttages insgesamt recht passiv geblieben ist, ist vor diesem Hintergrund enttäuschend.1 Man sollte die Resilienz einer föderal organisierten, 250 Jahre alten, tief in der kollektiven Mentalität verankerten Demokratie also nicht unterschätzen, aber die Kräfte auf Seiten der Verfassungsordnung müssen eben auch ganze vier Jahre ohne größere Niederlagen gegen einen Gegner durchhalten, der die geballte Macht der Exekutive nutzen kann. Das ist eine lange Zeit. Ich befürchte, die amerikanische Demokratie befindet sich gegenüber einem mächtigen Aggressor in einem Abnutzungskrieg mit ungewissem Ausgang.
Ende Teil 1.
Teil 2 folgt in einigen Tagen. Darin geht es um die fortschreitende Polarisierung in den USA, die internationale Ordnung und einen Ausblick, was Trump für die Zukunft der USA bedeutet.
Den nationalen Protesttag sollte man allerdings als Zeichen der Hoffnung begreifen. Und auch einzelne Demokraten auf unterschiedlichen Ebenen werden zunehmend laut, wenngleich es hier immer noch dramatische Ausfälle gibt (zu letzteren gehören das Democratic National Committee, die beiden Führer im Kongress, Schumer und Jeffries, mögliche Präsidentschaftskandidaten wie Buttigieg oder Harris, Ex-Präsident Obama etc.).