Beginnen wir mit ein paar Zahlen. Stand Ende März 2025 liegt die Zustimmung zur Amtsführung von Donald Trump laut Elliott Morris bei 47%. 49,3% beurteilen seine Arbeit negativ, also ein Netto von -2,3. Der Datenguru Nate Silver hat mit 47,5% positiv und 49,7% negativ ähnliche Werte (-2,2), während die Webseite realclearpolling mit 48% positiv und 48,8% negativ einen etwas geringeren Abstand (-0,8) hat, aber das Bild ungefähr bestätigt. Alle drei mitteln ihre Werte aus nahezu täglich durchgeführten Umfragen in den USA. Die leichten Abweichungen ergeben sich aus den herangezogenen Umfragen und der Gewichtung der einzelnen Institute auf Basis ihrer Methodik und bisherigen Genauigkeit.
Eine knappe Mehrheit der US-Bürger beurteilt die Arbeit von Trump also negativ. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, bei vielen Präsidenten überwiegt die Kritik an ihrer Amtsführung. Bemerkenswert ist der Zeitpunkt. Zwar ist Trump, wie bisher jeder US-Präsident, mit Plus-Werten gestartet, dann ging es aber rapide Richtung Süden. Die Grafik von Morris (Link oben) zeichnet das Bild.
Die Unzufriedenheit mit einem Präsidenten beginnt zu wachsen, sobald er irgendwas tut. Auch dieses Phänomen ist bei allen Präsidenten gleich, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Zahlen. Trumps Werte sind im Vergleich mit allen US-Präsidenten der letzten 25 Jahre allerdings besonders miserabel (x-Achse: Tage im Amt, y-Achse: Nettozustimmung) und das zu einem besonders frühen Zeitpunkt. Sie werden nur durch ihn selbst in seiner ersten Amtszeit unterboten.
Man kann also nicht sagen, dass Trumps Amtsführung im Vergleich bisher gut ankommt. Das Gegenteil ist der Fall.
Und trotzdem…
Lassen wir die vergangenen zwei Monate kurz Revue passieren. Trump nominiert eine Reihe bösartiger Clowns für die mächtigsten Ämter im Staat, insbesondere im Sicherheitsapparat. Er übergibt die Kontrolle zahlreicher Behörden an einen Multimilliardär, der als unkontrollierbare Privatperson Zugriff auf die schutzwürdigsten Daten bekommt, willkürlich zigtausende von Beamten entlässt, ganze Behörden abwickelt und zunehmend Chaos anrichtet. Er wendet sich gegen die bisher engsten Verbündeten der USA, tötet faktisch die NATO und sucht stattdessen die Freundschaft zum Aggressor Russland. Er erhebt Ansprüche auf das Staatsgebiet bisher befreundeter Nationen. Er sorgt durch eine erratische Zollpolitik dafür, dass Aktienkurse und mit ihnen die Ersparnisse und Alterssicherungen von Millionen Amerikanern abstürzen und findet, auch eine Rezession sei nicht weiter schlimm. Von einem Rückgang der Inflation ist nicht mehr die Rede. Er produziert ein rechtswidriges Präsidialdekret nach dem anderen und verwickelt die US-Regierung in eine auch von Fachleuten nicht mehr zu überschauende Zahl von Prozessen. Vor Gericht kassiert er bisher vor allem krachende Niederlagen. Er beschimpft Justiz und Presse auf übelste Weise und steht unmittelbar davor, das basalste Prinzip der US-Verfassung, die Gewaltenteilung, abzuschaffen und das Land in eine schwere Verfassungskrise zu stürzen. Usw. usw., Ergänzungen auf täglicher Basis.
Angesichts dieser Schneise der Verwüstung ist die Frage offensichtlich nicht, warum vergleichsweise wenige Leute von seiner Amtsführung überzeugt sind. Die Frage ist, warum sind es mit knapp 50%1 so viele. Und warum sage und schreibe 90% der Republikaner Stand heute seiner Politik zustimmen.
Und BÄNG!, sind wir in die Falle gelaufen. “Clowns”, “Chaos”, “erratisch”, “rechtswidrig”, “Schneise der Verwüstung”. Selbst wenn wir - gemeint ist die Öffentlichkeit in Europa - solche oder ähnliche Begriffe im Interesse einer scheinbar sachlichen Analyse nicht verwenden, wir denken sie trotzdem. Im europäischen Mainstream-Diskurs ist Trump eine Mischung aus Narzismus, Niedertracht, Autoritarismus und blanker Inkompetenz. Seine Anhänger, also die 90% der Leute, die sich als Republikaner identifizieren, gelten bei uns entweder als bornierte Hillbillies, die nicht wissen, was gut für sie ist, oder als faschistoide Dunkelmänner, wie Steve Bannon und andere. Aber, und diese Frage scheint mir wichtig, wie wollen wir verstehen, warum so erstaunliche viele Amerikaner Donald Trump unterstützen, wenn wir niemals unsere linksliberal-europäische Brille absetzen?
Ok, das kann nicht funktionieren. Wir sollten z.B. die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass eine knappe Hälfte der US-Amerikaner exakt das richtig findet, wovon wir uns mit Entsetzen abwenden, also z.B. all die Dinge, die ich gerade aufgezählt habe. Sie unterstützen Trump also vielleicht nicht trotz seiner “Schneise der Verwüstung”, sondern wegen ihr.
Sehen wir uns mal den auffälligsten Teil des Phänomens Trump an, nämlich die Dinge, die er SAGT. Eine amerikanische Mittelklassefamilie aus Wisconsin mit zwei Söhnen, die Offiziere bei den Marines geworden sind, mag wenig Ahnung von Geopolitik haben, aber wenn Trump die Kriege der USA anspricht und kritisiert dass die USA für die Interessen anderer Länder (Afghanistan, Irak, Ukraine) hunderte Millarden Dollar und viele Menschenleben opfern, stimmen sie zu. Sie glauben nicht, dass der Ausgang dieser Konflikte für ihr Leben wichtig ist. Ford-Arbeiter in Kentucky wissen vermutlich nicht so viel über internationale Handelsverflechtungen, aber wenn er sagt, dass die globalisierte Wirtschaft die amerikanische Industrie verwüstet hat und amerikanische Autos mit Zöllen geschützt werden müssen, dann verstehen sie sofort, was er meint. Texanern, ganz gleich welchen Berufs, mögen die letzten Kriminalitätsstatistiken zu Migranten nicht geläufig sein, aber wenn Trump sagt, man habe an der Grenze zu Mexiko die Kontrolle verloren, dann erleben sie täglich, dass er die Wahrheit sagt. Farmarbeiter in Arizona lesen wahrscheinlich nicht den New Yorker oder haben eine Eliteuniversität besucht, aber wenn er den Diskurs einer linksliberalen Elite, die einen irrsinnigen Wert auf Pronomen legt, verächtlich macht, teilen sie nicht nur den Eindruck, dass diese Linksliberalen eine kulturelle Dominanz ausüben, die ihnen nicht zusteht, sie teilen vor allem seinen Hass. Wenn Trump all diese Gruppen schließlich kollektiv mit den Worten anspricht: “Ich bin Eure Rache”, jubeln sie frenetisch. Und wenn er verspricht “I will put America First”, dann skandieren sie “USA, USA…”
Das waren Motive aus seiner Rede bei der CPAC 2023, einem jährlichen Treffen des MAGA-Flügels der Republikaner. Es lohnt sich aber auch, Trumps Worte direkt zu zitieren. Hier ein Abschnitt aus der Rede zum Amtsantritt im letzten Januar:
As we gather today, our government confronts a crisis of trust. For many years, a radical and corrupt establishment has extracted power and wealth from our citizens, while the pillars of our society lay broken and seemingly in complete disrepair. We now have a government that cannot manage even a simple crisis at home, while at the same time stumbling into a continuing catalog of catastrophic events abroad. It fails to protect our magnificent law-abiding American citizens, but provide sanctuary and protection for dangerous criminals, many from prisons and mental institutions that have illegally entered our country from all over the world. We have a government that has given unlimited funding to the defense of foreign borders, but refuses to defend American borders, or, more importantly, its own people. Our country can no longer deliver basic services in times of emergency (…) We have a public health system that does not deliver in times of disaster, yet more money is spent on it than any country anywhere in the world. And we have an education system that teaches our children to be ashamed of themselves, in many cases, to hate our country, despite the love that we try so desperately to provide to them. All of this will change starting today, and it will change very quickly.
Trump holt Leute ab, jedenfalls einen erheblichen Teil der USA. Er spricht ein Lebensgefühl an, das viele haben, nicht nur Menschen, die nicht die Chance hatten, eine Universität zu besuchen oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Es gibt ein Wort für dieses Gefühl, "Brokenism", der vage, aber sich allmählich erhärtende Verdacht, das die Institutionen des amerikanischen Lebens vom Kongress bis zu den Medien kaputt sind, aber niemand will es zugeben. Der Glaube, dass man die eigenen Interessen nichts zählen, während die Tech-Milliardäre und Wall-Street-Typen ihr Vermögen einfach mal verdoppeln. Die Irritation über kulturelle Normen, die nichts mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu tun haben. Der Eindruck, dass die Pfeiler des Gemeinwesens vom Gesundheitswesen bis zu Ausbildung der Kinder allmählich wegbröseln, während die globalistische Oberschicht, zu denen längst und ganz besonders die Demokratische Partei gehört, weitermachen, als ob alles in bester Ordnung wäre. Der Eindruck, dass die klassischen Eliten einfach nicht zuhören.
Wenn das die Prämisse ist, und hier verlassen wir die Worte und kommen zu den Taten, dann braucht das Land nicht noch mehr Kontinuität, sondern das Gegenteil, es braucht einen Bruch mit dem Status Quo, es braucht Disruption, je mehr, desto besser. Tausende von Behörden, von denen niemand weiß, was sie eigentlich tun, sicher ist nur, dass sie einem nicht helfen, können in der Tat vielleicht einfach mal weg. Und ob es ein Bildungsministerium geben muss, wenn die Bundesstaaten dessen Aufgaben genauso gut übernehmen können, really, who gives a fuck? Hauptsache, die Richtung stimmt. Die illegalen Einwanderer müssen eingefangen und abgeschoben werden, und wenn es Millionen sind, dann sind es eben Millionen. Sie hatten kein Recht, in den USA zu sein. Die mit Staatsknete fett gewordenen Eliteuniversitäten, die Leitmedien von der Ost- und die Film- und Fernsehstudios von der Westküste müssen endlich ihres kulturellen Einflusses beraubt werden, die globalen Tech-Milliardäre (und ja, ich sehe die Ironie) dürfen nicht mehr das Arbeitsleben eines Landes allein nach ihren Profitbedürfnissen ordnen. Amerika und Amerikaner müssen an erster Stelle stehen. Ist das so schwer zu verstehen?
Es ist nicht, dass Amerikaner Trumps auffällige Persönlichkeit oder die Pannen seiner Administration nicht bemerken würden. 60% der Republikaner finden z.B. die Affäre um den Chat auf Signal überhaupt nicht witzig. Fanatisch Gläubige gibt es natürlich auch, aber das ist eine Minderheit. Den republikanisch denkenden US-Amerikanern dürfte es eher so gehen wie Michael Anton, heute Direktor des Planungsstabes im US-Außenministerium, der 2016 einen berühmt gewordenen Essay zu Trump geschrieben hat. All die Themen, die Trump in seiner Rede zur CPAC oder zum Amtsantritt angesprochen hat, sind dort bereits versammelt. Das hindert Anton nicht, die Defizite von Trump zu sehen. Und ob Trump wirklich liefern kann, lässt er offen. Aber - und darauf besteht er - Trump sei der einzige Politiker in den USA, der die richtigen Fragen stelle. Und deshalb sei er die einzige Chance, die Amerika hat. So sehen das viele Amerikaner.
Dass Trump deswegen gleich die Demokratie abschaffen wird, glauben die wenigsten. Ja, er bricht Regeln, aber auf eine gute Weise, denken sie. David Brooks von der New York Times, bringt es in einer Diskussion auf den Punkt:
I’d take you back to a 1971 Clint Eastwood movie, “Dirty Harry,” or a 1974 Charles Bronson movie, “Death Wish.” Both of those were produced in a time of social decay, and they’re both about a guy who is willing to break or bend the rules to restore order. To this day, there is a large chunk of Americans who think the system is so broken, we need someone who will break the rules. That’s what’s happening.
Er bricht die Regeln, aber “to restore order”, um die Ordnung wieder herzustellen. Dass Trump zugleich die verfassungsmäßige Ordnung insgesamt abschaffen will, halten viele Amerikaner für abwegig. Die Europäer sind hysterisch, denken sie, selbstverständlich wird 2029 ein neuer, demokratisch gewählter Präsident ins Weiße Haus einziehen.
Lassen das alles für heute mal so stehen. Die Frage wer recht hat, die hysterischen Europäer oder die etwas simplen Amerikaner wird sich eh erst im Laufe der Amtszeit beantworten lassen. Und natürlich gibt es tausend Aspekte, die man jetzt einwerfen könnte. Wichtig ist mir, dass wir unseren Tunnelblick nicht mit der Wahrheit verwechseln, sondern gelegentlich einen Perspektivwechsel vornehmen. Nur so können wir uns dem Phänomen Trump nähern.
Es gibt übrigens Umfragen, die Trump positive Zustimmung zuschreiben, z.T. bis +10.