Ein grundlegendes Motiv meines Blogs ist, dass die reale Entwicklung der USA seit dem Amtsantritt von Trump kein einfaches Abrutschen in einen autoritären oder “faschistischen” Staat ist, sondern ein viel komplexeres Bild abgibt. Der vergangene Freitag hat das perfekt illustriert. An diesem Tag gab es gleich vier wichtige Ereignisse, die die Bandbreite wie auch die Ambiguität der gegenwärtigen USA einfangen.
Beispiel 1: Der Senat hat es am Freitag abgelehnt, Präsident Trump zu verpflichten, weitere Militärmaßnahmen gegen den Iran vorab vom Kongress genehmigen zu lassen. Nun ist die Rechtslage ziemlich klar, laut Verfassung obliegt es dem Kongress, Krieg zu erklären bzw. Kriegshandlungen zu autorisieren. Es ist also nicht nur bemerkenswert, sondern ein glatter Verfassungsbruch, wenn der Kongress freiwillig auf diese Kompetenz verzichtet und die Entscheidung über Krieg und Frieden stattdessen dem Präsidenten überträgt. Das ist Teil jener Selbstentmächtigung, die unter republikanischen Abgeordneten Normalität geworden ist und mit der die Gewaltenteilung faktisch außer Kraft gesetzt wird, also ein Schritt in Richtung Autoritarismus.
Die Empörung der Demokraten wäre allerdings glaubwürdiger, wenn sich ihre eigenen Präsidenten an die Verfassung gehalten hätten bzw. sie selbst damals schon auf ihren Rechten bestanden hätten. Leider kann davon keine Rede sein. Vor allem Obama hat sich nicht groß um juristische Feinheiten gekümmert und aus eigener Kompetenz einfach mal wochenlang Libyen bombardiert oder (anderes Problem) gezielt amerikanische Staatsbürger im Ausland ohne jedes Verfahren töten lassen.1 Tatsächlich hat sich der Kongress seit dem Zweiten Weltkrieg immer mehr aus Fragen der nationalen Sicherheit rausgehalten und dieses Feld dem Präsidenten überlassen. Dem obliegt nicht nur der Schutz der USA und die Wahrung ihrer nationalen Interessen, sondern die Exekutive spielt mit zigtausenden Experten in CIA, NSA, Außen- und Verteidigungsministerium auch in einer ganz anderen Kompetenzliga als Abgeordnete mit einer Handvoll Mitarbeitern und einem New-York-Times-Abo. Der Rückzug der Abgeordneten aus Fragen der nationalen Sicherheit spiegelt einfach die realen Kräfteverhältnisse wider. An diesem Prozess haben die Demokraten sowohl im Weißen Haus wie im Kongress genauso mitgewirkt wie die Republikaner.
Das ändert nichts am Bruch einer möglicherweise anachronistischen Verfassungsklausel, aber es relativiert das Vorgehen von Trump doch ganz erheblich. Er hat nichts anderes gemacht als alle Präsidenten seit dem Demokraten Harry Truman, der ohne Genehmigung des Kongresses in den Koreakrieg zog, und es ist etwas scheinheilig, allein ihm daraus einen Vorwurf zu machen oder nachträglich zu bedauern, dass man früher nicht genauer hingesehen habe. Nach gut 70 Jahren entsprechender Praxis wird die Republik an diesem Punkt jedenfalls nicht zugrunde gehen.
Beispiel 2: Sehr viel ernster ist der Rücktritt des Präsidenten der Universität Virginia. Hintergrund ist der Feldzug der Trump-Regierung gegen sogenannte DEI-Maßnahmen in gesellschaftlichen Einrichtungen, also Maßnahmen, die Diversität und Inklusion fördern sollen. Wie viele Hochschulen ist hierbei auch die renommierte Universität von Virginia ins Fadenkreuz der Regierung geraten. Der Universität wurde mit dem Streichen der ca. 350 Millionen staatlicher Forschungsgelder gedroht und das Justizministerium (DoJ) hat zudem Ermittlungen gegen die Universität wegen angeblicher Diskriminierung (gemeint ist Diskriminierung gegen Weiße) aufgenommen. Bei Gesprächen zwischen Regierung und Universität hat das DoJ außerdem klar gemacht, dass es ultimativ den Rücktritt des Uni-Präsidenten fordere. Das hat gewirkt. Der Druck aus den eigenen Verwaltungsgremien wurde zu hoch und James Ryan blieb keine andere Wahl mehr als zurückzutreten.
Hier gibt es nichts, was dem Vorgang seine Dramatik nehmen könnte. Der Trump-Regierung ist es nach Columbia erneut gelungen, in die inneren Angelegenheiten einer Universität einzugreifen und diese ihrem ideologischen Diktat zu unterwerfen. Das ist nicht nur autoritär, es ist totalitär und zeigt ganz deutlich, dass Trump und seine Heinzelmännchen eine tiefe Umgestaltung der Gesellschaft anstreben. Von sich aus akzeptiert die Regierung keine Grenzen, man muss sie ihr von außen setzen.
Beispiel 3: Hier kommen die Gerichte ins Spiel, die unverändert die wichtigsten Akteure im Widerstand gegen Trump sind. Am Freitag hat ein Bundesgericht entschieden, dass ein Präsidialdekret, in dem Trump Maßnahmen gegen die Anwaltsfirma Susman-Godfrey ergriffen hat, in toto verfassungswidrig ist. Das Gericht hat der Regierung außerdem eine Reihe von Auflagen gemacht, die sicher stellen sollen, dass sämtliche ihrer Maßnahmen gegen die Firma rückgängig gemacht werden. Damit hat die Trump-Regierung alle vier Klagen, die Anwaltsfirmen gegen die Rachemaßnahmen der Regierung geführt haben, krachend verloren. Die neun Firmen, die ähnlich wie Columbia oder die Universität von Virginia Deals mit der Regierung gemacht haben, um der Rache Trumps zu entgehen, haben hingegen die falsche Strategie gewählt. Widerstand ist möglich und er lohnt sich.
Beispiel 4: Die Justiz bringt uns zu dem Urteil des Obersten Gerichts (SCOTUS) zu landesweiten Verfügungen, über das auch in der deutschen Presse berichtet worden ist, wenn auch zumeist mit erheblichen Lücken. Zunächst die relevanten Fakten. Die Regierung hatte vor SCOTUS gegen vier erst- bzw. zweitinstanzliche Urteile geklagt, die alle eine landesweite Verfügung gegen ein Präsidialdekret erlassen hatten, in dem Trump erklärt, dass in den USA geborene Kinder von illegal in die USA eingereisten Personen nicht die US-Staatsbürgerschaft erhalten. Das widerspricht eindeutig dem Wortlaut des 14. Verfassungszusatzes, der - und da hat Trump Recht - allerdings mit einer ganz anderen Situation im Blick geschaffen worden ist, nämlich der Einbürgerung der schwarzen Bevölkerung nach dem Bürgerkrieg. Darum ging es aber nicht, sondern es ging um die Frage, ob ein Bundesgericht überhaupt einen Rechtsstreit, egal zu welcher Thematik, nutzen darf, um ein Urteil über die tatsächlichen Prozessbeteiligten hinaus gleich für das gesamte Land zu sprechen (sog. universal injunction). Und diese Frage hat SCOTUS - ich vereinfache jetzt - am Freitag verneint.
Ein Aufschrei der Empörung, angefangen mit den drei Richterinnen, die gegen das Urteil gestimmt haben. Die konservativen Richter hätten Trump einen Freifahrtschein selbst für offensichtlich rechtswidriges Handeln geliefert, die Rechtseinheit der USA sei gefährdet, wer nicht klagen könne, sei der Regierung schutzlos ausgeliefert etc.
Es ist wohl nicht ganz so schlimm, und deshalb haben teils auch Stimmen aus dem linken Lager das Urteil begrüßt. Das liegt daran, dass universal injunctions, die bis weit ins 20. Jahrhundert in der Rechtspraxis der USA völlig unbekannt waren, seit der Jahrtausendwende im polarisierten Klima der USA zu einer echten Pest geworden sind. Sobald nämlich irgendeine Entscheidung, ein Gesetz, eine Maßnahme oder was auch immer dem politischen Gegner nicht passt, sucht er sich einen ihm gewogenen Bundesrichter (von denen gibt es insgesamt etwa 1.000) und klagt. Der Richter entscheidet dann nicht nur in dem Streit zwischen den Beteiligten, sondern verhängt außerdem gleich eine landesweite Verfügung. Und damit ist die Maßnahme tot und die Regierung ausgebremst, was nicht nur jegliches Exekutivhandeln gefährdet, sondern auch demokratische Wahlen ad absurdum führt. So hat ein für seine reaktionären Ansichten bekannter texanischer Bundesrichter beispielsweise in 2023 die Zulassung des sog. Abtreibungsmedikaments Mifepriston bei der Food and Drug Administration gestoppt. Die Regierung kann dann nur ihrerseits in Berufung gehen, was alles irrsinnig Zeit kostet, das Regierungshandeln oft trotzdem lahmlegt und natürlich in einer zuweilen politisierten Justiz mit Risiken verbunden ist. Dass dies in Zukunft nicht mehr ohne weiteres möglich ist, kann auch als Vorteil gesehen werden.2
Zudem sind weiterhin Urteile möglich, die über die konkreten Prozessparteien hinaus größere Gruppen betreffen. Dies liegt zum einen daran, dass Bundesstaaten und Organisationen für ihren gesamten Bereich gegen Regierungsmaßnahmen klagen können. Der Antrag der Regierung, dass Organisationen nicht mehr für ihre Mitglieder klagen können, wurde abgewiesen. Zum zweiten ist es manchmal nur möglich, einer betroffenen Partei vollständig Recht zu geben, wenn auch andere Leute von dem Urteil profitieren. Wie viele das sind hängt von den konkreten Umständen ab, potenziell sind es alle. Und zum dritten sind unverändert sogenannte “Class Action Lawsuits” möglich, eine Form der Sammelklage, bei der eine kleinere Gruppe für alle Personen klagen kann, deren Fall genauso gelagert ist wie der ihre, auch wenn die Personen der größeren Gruppe der Klage gar nicht beigetreten sind. Genau das passiert gerade bei der Frage der Geltung des 14. Verfassungszusatzes.
Mit anderen Worten, die durch das SCOTUS-Urteil geschaffene Rechtslandschaft wird erst nach und nach klarer hervortreten. Es kommt jetzt auf die niedrigeren Instanzen an, mit dem Urteil umzugehen. Möglicherweise wird sich gar nicht viel ändern. Für apokalyptische Szenarien ist es jedenfalls zu früh.
Resümee
Mir geht es in diesem Post nicht nur um die konkreten Beispiele - darum natürlich auch -, sondern um einen allgemeineren Punkt. Diese “High-Profile”-Beispiele sollen illustrieren, dass wir bei der Beurteilung der USA genauer hinsehen müssen. Mehr Details, weniger Rhetorik. Und sobald wir das tun, wird das Bild komplizierter und verworrener. Weniger eindeutig. Es gibt Entwicklungen, die ungemein bedrohlich sind, es gibt rundum positive Entwicklungen, und es gibt Entwicklungen, die weder das eine noch das andere sind oder bei denen man es noch gar nicht genau sagen kann, wie sie ausgehen werden. Natürlich ist die amerikanische Republik unter Belagerung (siehe auch meinen letzten Post), keine Frage, aber der Sieg der Feinde der liberalen Demokratie ist bei weitem noch nicht ausgemacht.
Dass ausgerechnet dieser Mann den Friedensnobelpreis bekommen hat, sagt einiges über das Urteilsvermögen des Nobel-Kommittees.
Um es klar zu sagen, dass war nicht der Grund für das Urteil. Die federführende Richterin Amy Cony Barrett hat zu Recht sehr deutlich gemacht, dass es um eine juristische und nicht um eine politische Frage gehe. Die juristische Frage ist, ob Gerichte vom Kongress die Kompetenz der landesweiten Verfügung zugesprochen bekommen haben oder nicht. Die allermeisten Reaktionen auf das Urteil waren hingegen politisch und nicht juristisch.
Würdest du zustimmen das Trump zwar ein Faschist ist, aber Amerika nicht akut von Faschismus bedroht ist?
Weil es weder eine Arbeiterklassenbewegung gibt, das das Inlands-Kapital zerschlagen muss noch die breite Masse in einer so prekären Situation lebt das sie wirklich für Faschismus empfänglich sind?